Riesige Lungenflechten beweisen reine Luft in Bosniens Una-Nationalpark (27.03.2009)
Get the Flash Player to see this player with the file: 090327_-_flechten_de.flv
Bilovitz, Türk & Mayrhofer 2009: Lichens from the Una National Park
Flechten sind fester und bedeutender Bestandteil unserer Ökosysteme. Urwälder mit reiner Luft bergen die reichsten Flechtenvorkommen. Flechten besitzen eine Reihe von Eigenschaften, die sie für die Kontrolle der Luftqualität auszeichnen. Viele Flechtenarten sind weit verbreitet, was eine Betrachtung des Belastungsgrades über große Distanzen erlaubt. Die Morphologie der Flechten verändert sich nicht mit den Jahreszeiten. Schadstoffanreicherung findet somit das ganze Jahr über statt. Flechten sind gewöhnlich zudem sehr langlebig. Aber am wichtigsten ist, dass Flechten sich wegen ihrer Empfindlichkeit gegenüber Luftverschmutzungen als exzellente Bioindikatoren einsetzen lassen.
Aufgrund ihres Bestandsrückganges wird die Echte Lungenflechte (Lobaria pulmonaria) in vielen Teilen der Welt als selten oder bedroht eingestuft. Als Rückgangsursachen werden vor allem die Forstwirtschaft und die Luftverschmutzung, insbesondere der saure Regen, verantwortlich gemacht.
Unser letzter Abstecher nach Bosnien enthüllte reinste Luftqualität in den unberührten Urwäldern des Una-Nationalparks im Nordwesten Bosnien und Herzegowinas. Gegen Ende März 2009 erkundeten wir das Gebiet um den Berg Veliki Ljutoc (Höhenlage: ca. 900 m).
Wir entdeckten Bäume, die wie Überbleibsel aus vorindustrieller Zeit anmuteten. Neben einer reichen Flechtenflora bargen diese Bäume uralte, riesige Flechtenkörper der seltenen Echten Lungenflechte (Lobaria pulmonaria). Unversehrte Flechtenkörper dieser enormen Größe konnten nur dort überleben, wo über Jahrzehnte weder Luftverschmutzung noch Forstwirtschaft den Wäldern zusetzte. In Deutschland sind Lungenflechten dieser Größenordnung schon vor sehr langer Zeit verschwunden.
Dank Herrn Dr. Bilovitz (Institut für Pflanzenwissenschaften der Karl-Franzens-Universität Graz, Österreich) und Herrn Prof. Dr. Türk (Fachbereich Organismische Biologie Universität Salzburg, Österreich), die freundlicherweise von uns gesammeltes Belegmaterial determiniert haben, haben wir nun auch noch den Nachweis, dass sogar die sogenannte Große Lungenflechte (Lobaria amplissima) ebenfalls den gezeigten Baum besiedelt. Lobaria amplissima ist eine der am stärksten bedrohten Flechtenarten ganz Mitteleuropas und wird in den meisten Roten Listen entweder als „vom Aussterben bedroht“ oder als „ausgestorben“ geführt (e.g. TÜRK & HAFELLNER 1999, WIRTH et al. 1996). Vor 1900 war die Art weit verbreitet in Deutschland und bekannt aus über der Hälfte der Bundesländer. Im 20ten Jahrhundert wurde sie nur mehr im äußersten Süden Baden-Württembergs und Bayerns nachgewiesen und seit 1975 verschwand die Art aus vielen ihrer verbliebenen Vorkommensorte samt dem letzten bekannten Fundort in Bayern.
Die Gründe für den Rückgang von Lobaria amplissima und anderer Lungenflechtenarten wurden gründlich untersucht, da es sich laut APTROOT & ZIELMAN (Herzogia 17/2004) um die am meisten bedrohte Flechtengattung weit und breit handelt. Fraglos hatte die Luftverschmutzung durch Schwefeldioxid eine schädigende Wirkung, aber geänderte Bewirtschaftungsmethoden in den Wäldern werden ebenfalls häufig als Begründung angeführt. Die aktuelle Forschung beschäftigt sich zunehmend mit Untersuchungen zur Population und einzelnen Individuen dieser Art. Insbesondere die Große Lungenflechte (Lobaria amplissima) wird als sehr langlebig angesehen (in der Größenordnung eines Jahrhunderts und mehr), wie aus den oft großen Flechtenkörpern geschlossen werden kann und der minimalen jährlichen Zuwachsrate. Ganz allgemein scheint die Lebensraumkontinuität ein bevorrechtigter Faktor für das Überleben der Lungenflechtenarten zu sein.